Sonntag, 20. Oktober 2013

Die Festung Europa


„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ - Walter Ulbricht, SED, Erster Sekretär des ZK der SED der DDR, Juni 1961, zwei Monate vor Beginn des Mauerbaus.


„Der Vorwurf, Europa schottet sich ab, ist falsch.“ - Hans-Peter Friedrich, CSU, Innenminister der BRD, Oktober 2013, nach Jahren tausender Flüchtlingstote an den Mauern Europas.


Willkommen, werte Leserinnen und Leser, zu einer weiteren Geschichte voller politischer Vorurteile, Lügen und Intrigen. Zumindest eines der beiden obenstehenden Zitate sollte Ihnen bekannt vorkommen. Das erstere, nehme ich an. Auch wenn zweiteres aktueller ist.
Eine kleine Insel, geografisch zwischen Europa und Afrika, im Mittelmeer liegend und politisch zu Italien gehörend, trägt den Namen Lampedusa und sorgt für ein paar Wellen in Medienwelt und Politik. Wobei das Mittelmeer ja keine wahre Mauer im herkömmlichen Sinne bildet, die steht nämlich an der Ostgrenze Griechenlands, da, wo die Türkei angrenzt. Diese kostete mehr als 5 Mio. Euro... aber was nimmt man nicht alles hin, wenn man den eigenen Luxus-Standard wahren möchte. Das Mittelmeer jedoch ist – im Gegensatz zum hochmodernen Grenzzaun an der griechisch-türkischen Grenze mit NATO-Stacheldraht – eine „natürliche“ Mauer. Sie isoliert die Population der Wüstenfüchse von denen der europäischen Rotfüchse. Allerdings sollte einem bewusst sein, dass Menschen zum Einen keine Füchse sind – so typisch verschlagen auch der Eine oder Andere sein mag – sondern an der Spitze der Nahrungskette stehen und mit Gehirn und Verstand ausgestattet sind. Normalerweise jedenfalls. Wobei man letzteres wohl bezweifeln mag, wenn man gewisse Aussagen von Unionspolitikern zu hören bekommt, welche der Ansicht sind, dass in Europa schon zu viel Solidarität herrsche. Bernd Riexinger hat mit seiner Aussage, Innenminister Friedrich versuche, die AfD rechts zu überholen, durchaus recht.
Gewiss, neben Schweden nimmt Deutschland die meisten Flüchtlinge auf. Allerdings muss man auch zugeben, dass Deutschland geringfügig größer ist als die Niederlande oder Slowenien. Aber abgesehen von der Frage, wer wieviele Flüchtlinge aufnimmt und wo unterbringt und wer sich das Ganze leisten könne (wobei insbesondere Letzteres eine wahrhaft kognitiv beschränkte Frage wäre), sollte man doch der Wurzel der aktuellen Problematik auf den Grund gehen. Das ist nicht geschichtlich gemeint, auch wenn es wahr ist, dass die europäischen Mächte bis heute dafür sorgen, dass die afrikanischen Staaten wirtschaftlich und machtpolitisch weit unten bleiben. Sklavenhandel, Glasperlenspielchen für Eingeborene und Annexion von Land... das ist Vergangenheit. Möge man sich doch für einen Moment auf die Gegenwart beschränken und sehen, dass ein Mensch in afrikanischen Staaten häufig chancenlos ist, wenn er den Aufstieg (auf legalem Wege) wagen möchte. Dass Ansätze zu funktionsfähigen Demokratien da sind und WIR, Europa, mit unseren Waffenexporten (die sich mit ihren atemberaubenden Gewinnen natürlich wunderbar legitimieren lassen) an die falschen Seiten jene Ansätze wieder zerstören.

Europa hat wahrhaftig genügend Geld – in Relation zum afrikanischen Durchschnitt – wozu prassen wir, warum ziehen wir Mauern hoch, warum kriegt unsere verdammte Wohlstandsgesellschaft es nicht hin, effizient anderen Ländern hochzuhelfen?
Die Antwort lautet: Weil wir uns in unserem Luxus und Erfolg sonnen. Weil wir es lieben, dass andere Staaten und deren Bewohner zu uns aufblicken. Weil der Kapitalismus keine Gleichheit zulässt; irgendjemand muss nunmal den Sklaven spielen.
Zehntausende Menschen lassen an den Mauern Europas ihr Leben, täglich sinken weitere Leichen auf den Grund des Meeres oder werden aus dem trüben Wasser gefischt und in Lagerhallen gestapelt. Die innerdeutsche Grenze war ein Klacks dagegen, sowohl in Hinblick auf die Anzahl der Toten als auch in Bezug auf die Länge der Grenzen und Mauern, des Kostenaufwandes und des (fehlenden) Widerstandes dagegen.
Das Lösen solch riesiger Probleme ist nicht leicht; das war es noch nie. Aber zwischen sich und der Problematik eine Mauer hochzuziehen, das hilft der Welt nicht weiter. Afrika braucht uns; unsere Hilfsgüter, unser Geld, unsere Unterstützung, unser Wohlwollen... und NICHT unsere Waffen, unsere Soldaten, unsere Söldner und unsere Anordnungen. 

Vor knapp einem Monat waren in der BRD wieder Bundestagswahlen. Ihr habt gewählt. Ihr habt gewählt und ihr habt der Welt gezeigt, dass zum Einen der Großteil der Bevölkerung immer noch die BILD-Zeitung dem Lesen von Wahlprogrammen vorzieht und zum Anderen, dass euch der Zustand vom Rest der Welt nicht interessiert. Dass ihr eure Ruhe wollt, dass ihr euren Luxus behalten wollt. Stabilität und Wohlstand, glatte Straßen und Frieden. Mehr braucht man ja nicht... und mehr wollen die Unionspolitiker aus Kreisen der CDU und CSU auch nicht. Klappe zu, Affe tot. Mauer her, Regulierung der Finanzmärkte, innereuropäische Ruhe... um den Rest möge sich auch eben der Rest der Welt kümmern.
Mich hat es beeindruckt, dass bei der Bundesdelegiertenkonferenz der GRÜNEN Flüchtlinge aus Lampedusa eingeladen waren und reden konnte. Und die LINKEN machen sowieso immer deutlich, was sie von der politisch rechten Politik halten. Wieso nicht auch die Sozialdemokraten? Nein, lieber Machtpositionen, lieber die Aussicht auf Bundesminister_innen und Vize-Kanzler.
Deutschland hat Verantwortung, Europa hat Verantwortung, WIR haben Verantwortung. Aber das Leben kann ja so viel schöner sein, wenn man genau diese nicht wahrnimmt.
Ich gebe unserer Gesellschaft hiermit ein erbärmlich zu nennendes Zeugnis für menschliches Miteinander und Solidarität. Die Globalisierung soll auch die Menschen einander näher bringen, nicht nur machtversessene Konzernleitungen und Volkswirtschaften. 

Wo ist euer Wille, die Welt besser zu hinterlassen, als ihr sie aufgefunden habt?