Sonntag, 16. November 2014

Demokratische Sicherheitspolitik

Still gestanden, Gewehre hoch. Wir lieben Krieg. Hooray!“
Meine Güte, was soll dieses neue Kriegsdenken, welches durch Europa (und die Welt an sich) geht? Dieser neue (oder eher alte?) Patriotismus, welcher die Gemüter verseucht und die Völkerbeziehungen angreift wie ätzende Säure.
Plötzlich reden wir wieder von alten Bündnissen und neuen Wirtschaftsverbindungen. Frankreich soll doch keine Schiffe an Russland liefern, russische Flotten setzen sich gen Australien in Bewegung, Ostasien streitet über ein paar Ressourcen-Inseln, Afrika klagt nicht nur über Ebola, sondern auch über radikale Terroristen, und der IS etabliert sich im Nahen Osten.
Wir hatten selten so wenige zwischenstaatliche Konflikte, aber ebenso selten so viele sonstige Krisensituationen. Zudem kann der Status Quo in der Ukraine zu einem Krieg ausarten.
Menschheit, was tust du da?
Fünfundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall hat die EU 28 verschiedene Armeen, schottet sich ab und nötigt Flüchtlinge dazu, illegal über das Meer zu kommen, weil eine legale Einreise kaum mehr möglich ist. Und man möge die andere Mauer nicht vergessen, welche immer noch steht, mehr als doppelt so hoch ist wie jene, die Berlin teilte, und sich heute durch Palästina zieht.
Oh schöne neue Welt.
Die NATO rüstet weiter, verlegt Truppen in den Osten und plant offiziell die Verteidigung gegen Russland, während eine Aktion des Zentrums für politische Schönheit nahezu im Sand verläuft, weil selbst viele Medien das Drama im Süden ignorieren, wo zehntausende an den Mauern Europas sterben.
Ach Menschen, was wollt ihr denn?
Sicherheit gefällig? Wir sperren euch ein. Freiheit für euch? Anarchie, wir kommen. Nein! Die Welt besteht nicht aus Absoluten. Dass Politik kleiner Schritte ebenso zu einem Ziel kommt, sollten wir nicht vergessen haben. In meinen Augen ist es sogar der EINZIGE Weg, den man beschreiten sollte, will man Annäherung, Frieden sowie unsere beiden Lieblinge: Freiheit & Sicherheit.
Das Problem gegenwärtiger Politik ist, dass jedes demokratisch legitimierte Staatsoberhaupt Stimmen der Wähler*innen braucht, und diese lassen sich besonders leicht durch untersten Populismus ergattern. Das wiederum sind nicht nur traurige Neuigkeiten über unsere ach so demokratischen Länder, sondern auch für die internationale Politik an sich. Denn so wird zur Zeit häufig doch noch immer das Dogma verfolgt, dass ein Staat stabiler ist, je mehr Kante es nach außen zeigt. Man versucht sich abzugrenzen, im Notfall sogar drastisch, um innere Gegenkräfte aus der Bahn zu werfen; passendstes Beispiel hierfür die Politik des Vereinigten Königreiches im Zusammenhang mit dem Umgang mit der UKIP.
Und das UK steht mit dieser innen- und außenpolitischen Taktik nicht allein. Es wird gedroht und halb versprochen und widerrufen. Wir reden von Frieden und schüren Hass, wir geloben Frieden und senden Drohnen.

Filippo Minelli - CC BY-NC-ND 2.0

Es läuft was schief, werte Mitmenschen, und um es spezifisch zu nennen: es läuft was schief mit dem Wege der Demokratie, welchen wir einschlugen.

Sonntag, 27. April 2014

Kill, eat, and die.

Wir wissen Schönheit nicht mehr zu schätzen, weil sie in Massen auftritt.
Tagtäglich werden uns Ideale vorgeführt; Ikonen der Kunst, der Musik, der Literatur. Das Netz verbindet uns alle, und so sehen wir die Spitze aller Schichten Tag für Tag, ohne dass uns in den Sinn kommt, dass wir somit immun gegen die einfache Schönheit werden.
Wir laufen eilig am Straßenkünstler vorbei. Es könnte ein gefeierter Tenor sein. Oder ein erstklassiger Cellist aus der nächsten Philharmonie. Wir würden ihn trotzdem nicht beachten, denn die Masse tut es auch nicht. Wir bezahlen den Eintritt in die Oper und klatschen, weil es alle tun. Wir hören Musik der globalisierten Pop-Kultur, entweder die Charts oder jene Musik, von der wir denken, dass wir zur coolen Hipster-Gesellschaft gehören, wenn man Band-Namen auflisten kann, die keiner kennt.
Wir können uns nicht mehr an der Einfachheit und Schlichtheit erfreuen; wir lassen uns treiben, wie tote Fische im Strom. Wir schießen von uns 50 Bilder im Bad, angeln uns die fünf besten, photoshoppen davon drei und laden dann das beste hoch, zusammen mit der Überschrift „Spontanes Selfie“. Wir schminken uns, setzen virtuelle Masken auf und sagen, wir würden Goethe, Voltaire und Hobbes kennen. ... dabei kennen wir nicht mal uns selbst.
Kennen deine Freunde und Freundinnen dich auch ohne Make-Up? Weißt du, was „direkt und ehrlich“ bedeutet? Kannst du noch Bücher aufschlagen oder sind selbst Wikipedia-Zusammenfassungen für dich zu anstrengend?




net_efekt, CC BY-NC 2.0

Die Menschheit ist nicht dumm geworden. Das war sie schon immer. Nein, aber faul ist sie geworden. Das Leid anderer interessiert uns nicht. Hauptsache, uns geht es gut. Wir sind so naiv zu glauben, dass andere alles richten werden. Wir sagen, jemand wird sich schon darum kümmern, und vergessen, dass wir selbst „jemand“ sind.
Wir kaufen Dinge, die wir nicht brauchen, und andere erst recht nicht. Aber vielleicht verschenken wir trotzdem eben jene Dinge an Menschen. Menschen, die wir möglicherweise nicht mal mögen. Ein neues Auto? Wieso nicht. Ich habe bereits eines, aber das ist älter als das meines Nachbarn. Ein weiteres Handy? Aber gerne. Meins ist doch mindestens 2 Jahre alt, wie kann ich mich nur damit blicken lassen.
Ja, natürlich gibt die Politik kaum andere Leitbilder vor. Wieso auch, wir leben schließlich im Kapitalismus und wir denken, Fortschritt entsteht nur durch Konsum. Kauf, bis du stirbst. Kill, eat, and die. Oh ihr Schafe, braucht ihr denn immer jemanden, der euch etwas vorlebt?

Frank Weber, CC BY 2.0


Das heutige Töten und die moderne Sklaverei macht doch so viel mehr Spaß als vor 200 Jahren, als man den Sklaven und Sklavinnen noch direkt ins Gesicht sehen musste. Für Europäer*innen arbeiten mehr als 20 Menschen pro Person. Und jene modernen Sklav*innen musst du nicht mal sehen, denn sie leben nicht in deinem Haus, nicht in deiner Stadt, wohl nicht mal in deinem Land oder auf deinem Kontinent. Nein, ihre erdrückende Armut und ihr menschenunwürdiger Lebensstil, den Anblick ihrer Augen, welche den Glanz der Hoffnung verloren haben, und die Körper, zerschunden von täglicher, schwerer Routine-Arbeit, all das musst DU nicht mit ansehen, denn wenn du dies hier liest gehörst du mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu den obersten 15% der Menschheit.
Doch der Luxus blendet uns stets. Die obersten 10% wären doch auch toll. Ein Haus mit Swimming-Pool, ein Ferien-Appartment in Bankok oder Rio, eine Goldkette mit Diamanten versehen...
Menschheit, mach die Augen auf, und kümmere dich um die Schwächsten, bevor du deinem Luxus immer wieder aufs Neue höhere Maßstäbe anlegst!


Ira Gelb, CC BY-ND 2.0

Sonntag, 23. März 2014

Die Krim-Krise oder: Das Leiden eines pseudo-demokratischen Diktators

Kaum entsteht irgendwo auf diesem Planeten ein neuer Konflikt, schon freuen sich die Menschen in den Kommentier-Zeilen diverser Medien in ihrer Action-Sucht über einen potentiellen Dritten Weltkrieg. Schön doof. Denn der wird nicht ausbrechen. 
Was passiert zur Zeit? Für die Unaufgeklärten unter uns: Die Ukraine - süd-östlich von Polen, nördlich des Schwarzen Meeres und süd-westlich von Russland - ist dezent ausgedrückt etwas gespalten. Zum einen kulturell und sprachlich (die Mehrheit im westlichen Teil spricht Ukrainisch, im Osten jedoch aufgrund der mehrheitlich russischen Wurzeln eben Russisch), zum anderen aber auch politisch: Die Menschen der West-Ukraine sehnen eine Annäherung an die EU herbei, jene im Osten würden aber gerne enger an Moskau rutschen. Unter der Regierung des Ministerpräsidenten Viktor Janukowitsch, der sich in diesem Amt vor allem bereicherte und Geld von beiden Seiten gerne annahm, war weder an das eine noch an das andere ernsthaft zu denken. Ebenso konnte man auch kaum von einer korruptionslosen und freiheitlichen Demokratie in der Ukraine reden. 
Passend zum Zeitgeist unterdrückter Länder gingen die Menschen, vor allem in der Hauptstadt Kiew (im Westen des Landes), auf die Barrikaden. Der zentrale Platz in Kiew, der Maidan, wurde zum Zentrum eines erneuten Umsturzes, ähnlich wie 2004.

spoilt.exile, CC BY-SA 2.0

Das Problem sind zwei Dinge: Zum einen besteht, wie genannt, ein tiefer Graben zwischen dem Osten und dem Westen des Landes (sogar ganz ohne Mauer). Zum anderen war und und ist auf der Krim-Halbinsel (im Ost-Teil des Landes) die russische Schwarzmeer-Flotte stationiert. Die entsprechenden Häfen sind durch Russland für Millionen-Beträge gepachtet worden und Ukraine erhält (oder vielmehr: erhielt) einen Gaspreis-Rabatt von 30% durch den russischen Staatskonzern Gazprom.
In den Augen des Kremls war die ehemalige Regierung unter Janukowitsch Russland-freundlich genug und das System galt als stabil. Nun wurde jener aber abgesetzt, zwar mit einer parlamentarischen Mehrheit, jedoch nicht mit den verfassungsgemäßen 2/3-Mehrheit. Somit gilt bei pro-russischen Medien etc die Ansicht, die Revolution sei nur ein Putsch und die neue provisorische Regierung sei illegitim.
Tatsächlich ist jene neue Übergangsregierung auch wirklich fragwürdig: Geleitet von exzessivem Nationalismus ist die Swoboda-Partei als schon faschistisch zu nennende Organisation ein Bestandteil der neuen Macht-Lücke geworden. Aber der Westen muss zwangsläufig mit ihnen verhandeln, solange es keine neu gewählte Regierung gibt.
Für Russland hingegen ist diese "revolutionäre" Regierung nicht hinnehmbar, weswegen man Janukowitsch auch das eigene Territorium als Asyl-Boden gewährte, als dieser aus seiner Protz-Villa fliehen musste. 
Und die großen Verhandlungsmächte sind natürlich mal wieder die USA, Russland und die Europäische Union. Irgendwer muss ja an die Tische. Schade nur, dass man sich gegenseitig lieber Dinge vorwirft, Hitler-Vergleiche zieht (egal, ob die begründet sind oder nicht) und Truppen aufmarschieren lässt. 
Ein zwischenzeitlicher Hochpunkt der Krise ist bislang das Referendum der Krim über einen Anschluss an Russland gewesen. Durchgeführt unter russischer Truppen-Präsenz, völkerrechtswidrig entgegen der ukrainischen Regierung und bei offensichtlicher Wahlbeteiligung von teilweise bis zu 127%. Da möge mensch sich denken was mensch mag. Völkerrechtskonformes Handeln sieht jedenfalls anders aus. Und jene, die meinen, der Westen habe im Kosovo doch auch völkerrechtswidrig gehandelt, setzen dem Ganzen noch den Hut auf, denn eine schlechte Tat ist niemals durch eine vorangegangene schlechte Tat zu legitimieren. Ansonsten könnte man ja auch einen zweiten Holocaust machen, nur weil ein erster stattfand. Diplomatie sollte auf Logik beruhen. Zu schade nur, dass neuerdings wieder auf Diplomatie an sich verzichtet wird.
Die Krim ist jetzt in russischer Hand, die dort stationierten ukrainischen Soldaten mussten sich zurückziehen, der Rubel wird eingeführt und die Zufahrtswege sind blockiert, sowohl auf dem Land also über das Meer, vor allem ins Asowsche Meer.
Zur Zeit befinden sich schon zehntausende Soldaten sowohl auf der Krim-Halbinsel als auch direkt hinter der Grenze zur Ukraine auf russischer Seite. Und die Ukrainer*innen haben Angst; Angst davor, dass Russland auch den Rest der Ukraine oder zumindest der Ost-Ukraine will und ihn sich auch mit Waffengewalt nimmt.

Sasha Maksymenko, CC BY 2.0

Es stehen sich also mal wieder Soldaten und Machtinteressen gegenüber. Und man fragt sich, was eigentlich Putin will. Soll Russland unter seiner Führung zu alter Größe? Muss er mit seinem Macho-Gehabe und dominanten Verhalten irgendetwas kompensieren?
Der arme Putin ist 3 cm kleiner als Napoléon. Vielleicht ist an letzterem also etwas dran. Aber mal Spaß beiseite: Seit Jahren drängt "der Westen" Russland an die Wand. Mit der deutschen Wiedervereinigung wurde zugesichert, dass sich die NATO nicht weiter nach Osten ausdehnt. Das Gegenteil geschah, auch wenn man auf Druck von Merkel von der Ukraine absah. Die EU dehnte sich ebenfalls weiter aus, gerade ist sogar mitten in der Krise ein Kooperationsabkommen zwischen der EU und der Ukraine unterzeichnet worden. Und die US-Amerikaner stationieren gerne ebenfalls überall und jederzeit Raketen, Soldaten und Kampf-Jets, angeblich jedoch nicht gegen Russland gerichtet. Ach... und wenn Russland Truppen in Mexiko stationieren würde, und sagt, das sei nicht gegen die USA gerichtet, wer würde das glauben? In der Politik obsiegt mal wieder die Scheinheiligkeit, und zwar auf allen Seiten.
Die Krim war nicht immer russisch, die schießenden Soldaten bei ukrainischen Posten waren schon zu Beginn russische Militärs und in der neuen ukrainischen Regierung sind nachweislich Faschisten.
Im Moment lauern auf beiden Seiten die Soldaten auf einen Befehl, der hoffentlich nie kommt. Und wenn doch, dann muss Europa handeln. Aber nicht militärisch, und das wissen die Eliten auch. Denn die globalisierte Welt verhindert die positive Bilanz von großen Kriegen. Europa, die USA und Russland sind zu stark miteinander ökonomisch und politisch verstrickt, dass sich ein (direkter) militärischer Konflikt für niemanden lohnt. Gegen irgendein Regime in Afghanistan: kein Problem. Aber nicht gegen einen Staat, der mindestens bei den G20 ist.
Ein Dritter Weltkrieg kann ausgeschlossen werden (ja, total schade... für die Waffenproduktion), was jedoch wohl auch ein Nachteil für die Ukraine ist. Klingt seltsam und auf den ersten Blick unlogisch, aber bei genauerem Hinsehen merkt man: Was sollte Russland jetzt davon abhalten, einzumarschieren? Öl und Gas hat das Land alleine, Abnehmerländer auch, wodurch Sanktionen wenig helfen, und China deckt bei den meisten Dingen den Rücken... wenn Russland diesen Weg der Selbst-Isolation gehen sollte, dann wird es Europa auf einem schlechten Wege einen, der so nicht vorgesehen war. Es wird ein neuer Eiserner Vorhang entstehen, weiter östlich dieses Mal als der alte. Und der Kalte Krieg beginnt wieder von vorn.
... oder die Menschen fangen wieder damit an, ihr Gehirn zu benutzen, und zu sehen, dass die Menschen gleich, und der Nationalstaatsgedanke irrelevant ist.

Europe unite!
Ein rationalistischer Mensch ist stets für Frieden.
Und wer den Frieden nicht wünscht, ist des Lebens nicht wert.