Freitag, 27. November 2015

Hass kann man verlernen.

Was uns Menschen ausmacht, ist – neben den physischen Aspekten - die Gabe, die Fähigkeit, uns zum einen selbst als Individuen (und Mitglieder eines Kollektivs) wahrzunehmen, und zum anderen Gefühle zu empfinden. Wir betrachten es als natürlich, zu lieben, Eifersucht zu empfinden, Freundschaften zu entwickeln, Wut zu verspüren ... und auch, zu hassen. Aber was ist das? Was ist Hass? H – A – S – S ...
Eine negative Emotion? Durchaus. Nur ein Wort? Wohl kaum.
Das Gegenteil von Liebe, mögen manche sagen. Ich sage: es ist die Abwesenheit von Rationalität. Gewiss ist dies bei Emotionen häufig der Fall: man empfindet einfach, man verspürt etwas und folgt einem Instinkt, lässt sich leiten anstatt die eigenen Gedanken selbst zu führen. Aber Hass ist so dermaßen irrational, es fällt sogar den eigenen Genen in den Rücken.
Alles, was du brauchst, ist eine krankhaft verfolgte Ideologie oder ein Feindbild und dazu etwas, was sich als Waffe eignet, und schon bist du dazu in der Lage, die Idee zum Erhalt deiner eigenen Art zum Mond zu schießen.
Was bringt Menschen wirklich dazu, Hass zu empfinden? Im Moment schaut die Welt, gefesselt dank des stetigen Medienkonsums, auf den sog. "Islamischen Staat" (ich bevorzuge die Bezeichnung "Daesh") im Nordirak und in Syrien, der mit unvergleichbarer Brutalität vorgeht, sodass sich selbst Vereinigungen wie die Hisbollah, al-Qaida und die Taliban davon distanzieren. Was sie antreibt, scheint inbrünstiger Hass zu sein. Hass gegen alles, was anders ist. Hass gegen alle, die aufbegehren. Hass gegen jeden, der sich nicht dem radikalen Wahhabismus unterwirft, einem Zweig einer der großen abrahamitischenReligionen. Aber warum hassen sie? Warum lassen sie statt ihre Münder ihre Waffen sprechen? Ihre Ideologie sieht es vor, gewiss, aber wieso folgen sie blind einer Ideologie, die das Morden vorsieht, versprochen durch ein imaginäre Wesen, welches einen nach dem eigenen Tod angeblich in ein Paradies sendet?

New Eastern Outlook

Religionen erleben stets einen Aufschwung, wenn es den Menschen schlecht geht. Und dort, wo diese Terroristen hauptsächlich agieren, im Nahen Osten, dort hat es in den letzten Jahrhunderten nie wahren Frieden gegeben. NATO-Staaten im in Afghanistan und im Irak, der Irak selbst in Kuwait, die Golfkriege, Bürgerkrieg in Syrien, der Arabische Frühling, all jene Konflikte sind nicht lange her und finden immer noch statt. Gepaart mit mangelnder Versorgung, unzureichender Bildung und seltsamer Prioritätensetzung durch die Autoritäten entwickelt sich auf Nährboden solcher Art leicht ein Pulverfass, was jederzeit in die Luft gehen kann.
Viele Länder konnten dem entgegenwirken: Tunesien entwickelte sich Demokratie, in Ägypten wurde die Muslimbruderschaft verboten, aber im Irak blieb nach dem Abzug westlicher Streitkräfte ein Machtvakuum ohne genügend anerkannte Strukturen. So gelang es Daesh, im Norden des Landes nach und nach eine eigene Machtposition aufzubauen und konnte sich sogar – dank des Bürgerkrieges im Nachbarland Syrien – über die Grenze hinaus ausdehnen. Seit Jahren entwickeln Terroristen in diesem Gebiet ein gefährliches Machtpotential, genährt durch genügend hassende menschliche Ressourcen und Kapital.
Und ihr Hass ist vernichtend: vor 14 Tagen die Attentate in Paris mit mehr als 100 Toten, wofür heute die Trauerveranstaltung stattfand. Am Tag davor der Anschlag in Beirut. Und fortwährend tausende und abertausende Opfer direkt im oder nahe des IS. Kaum ein Tag ohne eine Horrormeldung von neuen Opfern.



Andererseits mag es geradezu "menschlich" sein. Dieser Hass. Wut und Hass scheinen menschliche Eigenschaften zu sein, die uns stets begleiten. Sobald ein kleines Kind im Sandkasten ein anderes mit der Schaufel schlägt – und sei es nur im Spaß – dann scheint die urinstinkte Reaktion der Gegenschlag zu sein. Sobald die Menschen größer werden und das Hirn mehr Aufgaben übernimmt, werden solche Aktionen auch hinterfragt; dies soll nun nicht bedeuten, dass Menschen wie al-Baghdadi geistige Kinder sind. Sie sind sich durchaus ihrer Taten bewusst, sie wissen was sie tun, wenn sie den Order zum Angriff geben oder wenn sie die Zündschnur aktivieren. Aber sie scheinen nicht weiter zu denken, sie scheinen einen beschränkten Horizont zu haben. Und nur, weil es die Emotion des Hasses gibt, heißt dies nicht, dass sie genutzt werden sollte.

Aber wie reagieren? Es schlägt einem eine Welle des Hasses entgegen, und wie reagiert der Mensch von Natur? Auch mit Hass. Gewalt begegnen wir mit Gegengewalt. Und so sinkt das Niveau unserer eigenen Politik zusehends. Selbst Deutschland, ein Land, welches sich nach dem 2. Weltkrieg selbst dazu verpflichtete, dass niemals wieder von uns aus ein Krieg ausgehen solle, sendet Militärflugzeuge. Doch wie einfach wäre es, Daesh seinen Nährboden des Hasses zu nehmen und all seiner Quellen zu berauben.
Wenn du gegen Gewalt bist, dann erhebe nicht deine Faust zum Gegenschlag, sondern setze deinen Gegner zu Boden, ohne ihn zu töten. Aber nein, der Hass erblüht, auch in Europa. Ganze Parteien und sogar Länder schieben Flüchtlingen die Schuld zu (die vor dem gleichen Gegner fliehen) oder suchen andere Schuldige, grenzen sich ab, rüsten auf, anstatt sich zu verbrüdern und nach den idealen Lösungen zu suchen. Russland bombardiert vorrangig syrische Rebellen, die Türkei will nur etwas für Turkmenen tun und tausende Flüchtlinge sterben auf der Flucht vor Daesh.
Und doch gibt es selten so günstige Situationen wie diese, damit ganze Länder einigen. Denn Hass hilft, aber nur, wenn es der Hass der anderen ist und wir – gestärkt durch Liebe und Einigkeit – stärker sind.

FanArt



Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“
- Yoda -


Bis wir Menschen aber so denken wie die (unreale) Person hinter diesem Zitat, wird wohl leider noch einige Zeit vergehen. Möge es dann nicht zu spät sein.

Dienstag, 3. Februar 2015

Nihilismus und Untreue


Die Kunst ist unmoralisch – die Liebe auch.
Emotionale Untreue bezeichnet die Fähigkeit eines Menschen, Sehnsucht zu erzeugen, indem man einen Mangel herbeiführt.

Selbstverschuldet, bewusst oder unbewusst erzeugen wir ihn in einer Beziehung bzw. menschliche Bindung um uns und dem Menschen, mit den wir auf eine ungesunde Art und Weise verbunden fühlen, zu schaden.

Die schöne heile Welt zerbröselt, weil sie die eigentliche Leere nicht auflösen konnte. Der Nihilismus ist hier die Antwort auf etwas, was eigentlich nicht nachvollziehbar sein kann, weil es die pure Zerstörung aller Wesenszustände zulässt und diese anerkennt, als das Wirkliche und Machbare. Und wäre es nicht machbar – es gäbe die Bezeichnung der Macht nicht, die nichts Gutes oder Schlechtes will, sondern nur um ihrer selbst willen existiert. Die Macht der Macht willen, das ist ihre Natur, ihre Erfüllung und ihre Langeweile.
Sexuelle Untreue ist meist mit dem Bedürfnis des Menschen nach neuen sexuellen Erfahrungen verbunden. Neue Reize strömen auf jemanden ein, der sie zulässt.
Der Mensch lebt sich in ihr aus und lebt in jeder sexuellen Begierde ein anderes Leben. Es ist der Tanz zu einer anderen Musik, auf einen anderen Ball. Der gewöhnliche Anlass wird vernichtet und die Überflutung der Reize strömt auf das Individuum ein!

Die Moral verselbstständigt sich. Nietzsche sprach von der Moral jenseits von Gut und Böse. Doch ist es nicht vielmehr die Verselbstständigung des Menschen in seinem eigentlich stark ausgerichteten Werten, hinein in ein Vakuum?

Es ist die Stille vor der Explosion, kurz bevor die Druckwelle Realität wird. Man geht zu weit, verwischt die klaren Spuren, liebt und begehrt im Schein und unter falscher Adresse.
Es ist auch die Unfähigkeit die Figur abzulegen, die den Schauspieler nur für Stunden erfüllen sollte. Die Identifizierung mit einer fremden Sache, die man trägt, wie eine selbstverständliche Bekleidung, ein Shirt ohne Aufschrift, ein Pullover ohne Maschen: es ist auch das Leuchten und Erblassen zur gleichen Zeit, in jeder Bewegung und Erinnerung, an das Leben, das sicher war. Die innere Stimme in einem schreit ohne Ton:
Verlasst die alten Wege! Lebt euch aus! Zerstört!
Ab und zu führt auch die Wahrheit zum Ziel und man ist bereit diesen Preis zu bezahlen, für etwas, was man geistige Freiheit nennen könnte – oder das Loslösen von der gesellschaftlichen Scheinordnung.
Das Überlassen des Menschen hinein in etwas ganz NEUES, das ist es, was Untreue bezeichnet: es ist die Vereinigung von dem Nichts und der blanken Wut, alles zu erreichen!
Die Liebe ist hierbei die Entblößung des Menschen, indem er sie verlässt, verlässt er seine Entblößung und demaskiert sich.

Es ist der Verrat an dem Glück und der westlichen Norm, die danach sucht und etwas festhalten will, was haltlos ist.

http://bit.ly/1Ct0zHy
Der trockene Schwamm, der ausgewrungen werden möchte, füllt sich mit Leere, wo er eigentlich Wasser sucht. Die Nahrung dieses Schwammes ist die Moral, die der Mensch in der Untreue vergisst.
Nur vollkommen übersättigt und leer kann der Geist frei sein und findet kein Interesse an einem Menschen. Das Spielobjekt wird hierbei frei erwählt und ist bedeutungslos der das Mittel zum Zweck, das den Zweck vollkommen neutral gegenüber steht.

Es ist der Zustand, der eigentlich Prozess sein sollte. Doch etwas steht fest und ist klar. Menschen, die zu viel Empfindung in etwas hineinstecken, werden sich verlieren und verbrennen, doch auf dieser Asche kann etwas gedeihen, was stärker ist als sie.
Der Mensch muss verloren sein – um wirklich zu werden, abspringen und wissen, dass der Aufprall voller Leben ist – voller Missachtung der Moral.

Sonntag, 11. Januar 2015

Grundprinzipien der Moderne

Europa wurde angegriffen, und damit auch Europas Werte der Demokratie und Freiheit, unsere Grundprinzipien der Moderne. Man mag bezweifeln, dass die „westliche“ Politik der Gegenwart perfekt ist, und selbst ich bin weit davon entfernt, aber ihre elementaren Eigenschaften halte ich für einen notwendigen Bestandteil, wenn wir weiterhin in einer friedlichen, freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft leben wollen.


Ein Feindbild ist schnell errichtet, einen Gegner kann man finden. Ob es der wahre Feind ist, wird selten angezweifelt. Ja, natürlich waren die Terroristen, welche am 7. Januar zwölf Redakteure der Zeitschrift Charlie Hebdo umbrachten, Muslime. Ihr heiliges Buch war der Koran, ihre Gebete galten ihrer Gottheit, nach Mekka gerichtet. Unschön war nur, dass sie ein paar Verse und Suren und einen imaginären Freund im Himmel höher schätzten als die Realität. Bitter für die Hinterbliebenen, dass ihnen Menschenleben weniger wert war als Schutz einer Religion vor Satire. Denn nichts anderes tat Charlie Hebdo: Karikaturen publizieren. Alles und jeder wurde dort seit Jahrzehnten auf die Schippe genommen; Politiker*innen jedweder Richtung, das Judentum, die verschiedenen Kirchen, der Islam. In Europa hat sich eine Gesellschaft der Toleranz etabliert, doch noch immer gibt es – und das nicht nur hier – vereinzelt Menschen, die sich offensichtlich ins Mittelalter zurück sehnen. Der Anschlag war feige, seine Motivation gilt es zu verurteilen, aber die Tat sollte nicht „gerächt“ oder „gesühnt“ werden. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“; würden wir diesem Grundsatz folgen, wäre die ganze Welt blind.
Wir sind offen und tolerant, also lasst uns das auch zeigen. Lasst uns nicht stigmatisieren und Menschen verurteilen, nur weil sie vielleicht die gleiche Religion haben wie jene Attentäter. Oder zufällig die gleiche Hautfarbe oder das gleiche Lieblingsessen. Wir dürfen unsere Mauern nicht wieder hochfahren oder die Tat zum Anlass nehmen, bedenkenswerte politische Ansichten durchzusetzen. Die 2006 eingeführte Vorratsdatenspeicherung konnte Frankreich nicht vor Anschlägen schützen, dennoch wird genau das wieder vermehrt auch für Deutschland gefordert. Und sogar die Pegida-Bewegung versucht das Ereignis schamlos für sich auszunutzen; ihre Nazi-Sprüche reißenden Anführer*innen sind der Ansicht, das linke Satire-Magazin und unsere demokratischen Grundwerte verteidigen zu müssen. Was für eine Ironie. Vielleicht hätte der eine oder andere doch mal die Zeitschrift näher in Augenschein nehmen sollen.

http://bit.ly/1tXDJFz

Wir bleiben zurück in Trauer, doch hoffentlich nicht in Angst. Wir lassen uns nicht unserer Freiheit berauben. Stéphane Charbonnier, ermordeter Zeichner von Charlie Hebdo, sagte noch vor gar nicht allzu langer Zeit: „Lieber sterbe ich aufrecht, als auf Knien zu leben.“
Für sein Schicksal, seine Werke und Taten so treffend; für uns so bedeutend.

http://bit.ly/1xRG7Nj