Freitag, 27. November 2015

Hass kann man verlernen.

Was uns Menschen ausmacht, ist – neben den physischen Aspekten - die Gabe, die Fähigkeit, uns zum einen selbst als Individuen (und Mitglieder eines Kollektivs) wahrzunehmen, und zum anderen Gefühle zu empfinden. Wir betrachten es als natürlich, zu lieben, Eifersucht zu empfinden, Freundschaften zu entwickeln, Wut zu verspüren ... und auch, zu hassen. Aber was ist das? Was ist Hass? H – A – S – S ...
Eine negative Emotion? Durchaus. Nur ein Wort? Wohl kaum.
Das Gegenteil von Liebe, mögen manche sagen. Ich sage: es ist die Abwesenheit von Rationalität. Gewiss ist dies bei Emotionen häufig der Fall: man empfindet einfach, man verspürt etwas und folgt einem Instinkt, lässt sich leiten anstatt die eigenen Gedanken selbst zu führen. Aber Hass ist so dermaßen irrational, es fällt sogar den eigenen Genen in den Rücken.
Alles, was du brauchst, ist eine krankhaft verfolgte Ideologie oder ein Feindbild und dazu etwas, was sich als Waffe eignet, und schon bist du dazu in der Lage, die Idee zum Erhalt deiner eigenen Art zum Mond zu schießen.
Was bringt Menschen wirklich dazu, Hass zu empfinden? Im Moment schaut die Welt, gefesselt dank des stetigen Medienkonsums, auf den sog. "Islamischen Staat" (ich bevorzuge die Bezeichnung "Daesh") im Nordirak und in Syrien, der mit unvergleichbarer Brutalität vorgeht, sodass sich selbst Vereinigungen wie die Hisbollah, al-Qaida und die Taliban davon distanzieren. Was sie antreibt, scheint inbrünstiger Hass zu sein. Hass gegen alles, was anders ist. Hass gegen alle, die aufbegehren. Hass gegen jeden, der sich nicht dem radikalen Wahhabismus unterwirft, einem Zweig einer der großen abrahamitischenReligionen. Aber warum hassen sie? Warum lassen sie statt ihre Münder ihre Waffen sprechen? Ihre Ideologie sieht es vor, gewiss, aber wieso folgen sie blind einer Ideologie, die das Morden vorsieht, versprochen durch ein imaginäre Wesen, welches einen nach dem eigenen Tod angeblich in ein Paradies sendet?

New Eastern Outlook

Religionen erleben stets einen Aufschwung, wenn es den Menschen schlecht geht. Und dort, wo diese Terroristen hauptsächlich agieren, im Nahen Osten, dort hat es in den letzten Jahrhunderten nie wahren Frieden gegeben. NATO-Staaten im in Afghanistan und im Irak, der Irak selbst in Kuwait, die Golfkriege, Bürgerkrieg in Syrien, der Arabische Frühling, all jene Konflikte sind nicht lange her und finden immer noch statt. Gepaart mit mangelnder Versorgung, unzureichender Bildung und seltsamer Prioritätensetzung durch die Autoritäten entwickelt sich auf Nährboden solcher Art leicht ein Pulverfass, was jederzeit in die Luft gehen kann.
Viele Länder konnten dem entgegenwirken: Tunesien entwickelte sich Demokratie, in Ägypten wurde die Muslimbruderschaft verboten, aber im Irak blieb nach dem Abzug westlicher Streitkräfte ein Machtvakuum ohne genügend anerkannte Strukturen. So gelang es Daesh, im Norden des Landes nach und nach eine eigene Machtposition aufzubauen und konnte sich sogar – dank des Bürgerkrieges im Nachbarland Syrien – über die Grenze hinaus ausdehnen. Seit Jahren entwickeln Terroristen in diesem Gebiet ein gefährliches Machtpotential, genährt durch genügend hassende menschliche Ressourcen und Kapital.
Und ihr Hass ist vernichtend: vor 14 Tagen die Attentate in Paris mit mehr als 100 Toten, wofür heute die Trauerveranstaltung stattfand. Am Tag davor der Anschlag in Beirut. Und fortwährend tausende und abertausende Opfer direkt im oder nahe des IS. Kaum ein Tag ohne eine Horrormeldung von neuen Opfern.



Andererseits mag es geradezu "menschlich" sein. Dieser Hass. Wut und Hass scheinen menschliche Eigenschaften zu sein, die uns stets begleiten. Sobald ein kleines Kind im Sandkasten ein anderes mit der Schaufel schlägt – und sei es nur im Spaß – dann scheint die urinstinkte Reaktion der Gegenschlag zu sein. Sobald die Menschen größer werden und das Hirn mehr Aufgaben übernimmt, werden solche Aktionen auch hinterfragt; dies soll nun nicht bedeuten, dass Menschen wie al-Baghdadi geistige Kinder sind. Sie sind sich durchaus ihrer Taten bewusst, sie wissen was sie tun, wenn sie den Order zum Angriff geben oder wenn sie die Zündschnur aktivieren. Aber sie scheinen nicht weiter zu denken, sie scheinen einen beschränkten Horizont zu haben. Und nur, weil es die Emotion des Hasses gibt, heißt dies nicht, dass sie genutzt werden sollte.

Aber wie reagieren? Es schlägt einem eine Welle des Hasses entgegen, und wie reagiert der Mensch von Natur? Auch mit Hass. Gewalt begegnen wir mit Gegengewalt. Und so sinkt das Niveau unserer eigenen Politik zusehends. Selbst Deutschland, ein Land, welches sich nach dem 2. Weltkrieg selbst dazu verpflichtete, dass niemals wieder von uns aus ein Krieg ausgehen solle, sendet Militärflugzeuge. Doch wie einfach wäre es, Daesh seinen Nährboden des Hasses zu nehmen und all seiner Quellen zu berauben.
Wenn du gegen Gewalt bist, dann erhebe nicht deine Faust zum Gegenschlag, sondern setze deinen Gegner zu Boden, ohne ihn zu töten. Aber nein, der Hass erblüht, auch in Europa. Ganze Parteien und sogar Länder schieben Flüchtlingen die Schuld zu (die vor dem gleichen Gegner fliehen) oder suchen andere Schuldige, grenzen sich ab, rüsten auf, anstatt sich zu verbrüdern und nach den idealen Lösungen zu suchen. Russland bombardiert vorrangig syrische Rebellen, die Türkei will nur etwas für Turkmenen tun und tausende Flüchtlinge sterben auf der Flucht vor Daesh.
Und doch gibt es selten so günstige Situationen wie diese, damit ganze Länder einigen. Denn Hass hilft, aber nur, wenn es der Hass der anderen ist und wir – gestärkt durch Liebe und Einigkeit – stärker sind.

FanArt



Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“
- Yoda -


Bis wir Menschen aber so denken wie die (unreale) Person hinter diesem Zitat, wird wohl leider noch einige Zeit vergehen. Möge es dann nicht zu spät sein.

Dienstag, 3. Februar 2015

Nihilismus und Untreue


Die Kunst ist unmoralisch – die Liebe auch.
Emotionale Untreue bezeichnet die Fähigkeit eines Menschen, Sehnsucht zu erzeugen, indem man einen Mangel herbeiführt.

Selbstverschuldet, bewusst oder unbewusst erzeugen wir ihn in einer Beziehung bzw. menschliche Bindung um uns und dem Menschen, mit den wir auf eine ungesunde Art und Weise verbunden fühlen, zu schaden.

Die schöne heile Welt zerbröselt, weil sie die eigentliche Leere nicht auflösen konnte. Der Nihilismus ist hier die Antwort auf etwas, was eigentlich nicht nachvollziehbar sein kann, weil es die pure Zerstörung aller Wesenszustände zulässt und diese anerkennt, als das Wirkliche und Machbare. Und wäre es nicht machbar – es gäbe die Bezeichnung der Macht nicht, die nichts Gutes oder Schlechtes will, sondern nur um ihrer selbst willen existiert. Die Macht der Macht willen, das ist ihre Natur, ihre Erfüllung und ihre Langeweile.
Sexuelle Untreue ist meist mit dem Bedürfnis des Menschen nach neuen sexuellen Erfahrungen verbunden. Neue Reize strömen auf jemanden ein, der sie zulässt.
Der Mensch lebt sich in ihr aus und lebt in jeder sexuellen Begierde ein anderes Leben. Es ist der Tanz zu einer anderen Musik, auf einen anderen Ball. Der gewöhnliche Anlass wird vernichtet und die Überflutung der Reize strömt auf das Individuum ein!

Die Moral verselbstständigt sich. Nietzsche sprach von der Moral jenseits von Gut und Böse. Doch ist es nicht vielmehr die Verselbstständigung des Menschen in seinem eigentlich stark ausgerichteten Werten, hinein in ein Vakuum?

Es ist die Stille vor der Explosion, kurz bevor die Druckwelle Realität wird. Man geht zu weit, verwischt die klaren Spuren, liebt und begehrt im Schein und unter falscher Adresse.
Es ist auch die Unfähigkeit die Figur abzulegen, die den Schauspieler nur für Stunden erfüllen sollte. Die Identifizierung mit einer fremden Sache, die man trägt, wie eine selbstverständliche Bekleidung, ein Shirt ohne Aufschrift, ein Pullover ohne Maschen: es ist auch das Leuchten und Erblassen zur gleichen Zeit, in jeder Bewegung und Erinnerung, an das Leben, das sicher war. Die innere Stimme in einem schreit ohne Ton:
Verlasst die alten Wege! Lebt euch aus! Zerstört!
Ab und zu führt auch die Wahrheit zum Ziel und man ist bereit diesen Preis zu bezahlen, für etwas, was man geistige Freiheit nennen könnte – oder das Loslösen von der gesellschaftlichen Scheinordnung.
Das Überlassen des Menschen hinein in etwas ganz NEUES, das ist es, was Untreue bezeichnet: es ist die Vereinigung von dem Nichts und der blanken Wut, alles zu erreichen!
Die Liebe ist hierbei die Entblößung des Menschen, indem er sie verlässt, verlässt er seine Entblößung und demaskiert sich.

Es ist der Verrat an dem Glück und der westlichen Norm, die danach sucht und etwas festhalten will, was haltlos ist.

http://bit.ly/1Ct0zHy
Der trockene Schwamm, der ausgewrungen werden möchte, füllt sich mit Leere, wo er eigentlich Wasser sucht. Die Nahrung dieses Schwammes ist die Moral, die der Mensch in der Untreue vergisst.
Nur vollkommen übersättigt und leer kann der Geist frei sein und findet kein Interesse an einem Menschen. Das Spielobjekt wird hierbei frei erwählt und ist bedeutungslos der das Mittel zum Zweck, das den Zweck vollkommen neutral gegenüber steht.

Es ist der Zustand, der eigentlich Prozess sein sollte. Doch etwas steht fest und ist klar. Menschen, die zu viel Empfindung in etwas hineinstecken, werden sich verlieren und verbrennen, doch auf dieser Asche kann etwas gedeihen, was stärker ist als sie.
Der Mensch muss verloren sein – um wirklich zu werden, abspringen und wissen, dass der Aufprall voller Leben ist – voller Missachtung der Moral.

Sonntag, 11. Januar 2015

Grundprinzipien der Moderne

Europa wurde angegriffen, und damit auch Europas Werte der Demokratie und Freiheit, unsere Grundprinzipien der Moderne. Man mag bezweifeln, dass die „westliche“ Politik der Gegenwart perfekt ist, und selbst ich bin weit davon entfernt, aber ihre elementaren Eigenschaften halte ich für einen notwendigen Bestandteil, wenn wir weiterhin in einer friedlichen, freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft leben wollen.


Ein Feindbild ist schnell errichtet, einen Gegner kann man finden. Ob es der wahre Feind ist, wird selten angezweifelt. Ja, natürlich waren die Terroristen, welche am 7. Januar zwölf Redakteure der Zeitschrift Charlie Hebdo umbrachten, Muslime. Ihr heiliges Buch war der Koran, ihre Gebete galten ihrer Gottheit, nach Mekka gerichtet. Unschön war nur, dass sie ein paar Verse und Suren und einen imaginären Freund im Himmel höher schätzten als die Realität. Bitter für die Hinterbliebenen, dass ihnen Menschenleben weniger wert war als Schutz einer Religion vor Satire. Denn nichts anderes tat Charlie Hebdo: Karikaturen publizieren. Alles und jeder wurde dort seit Jahrzehnten auf die Schippe genommen; Politiker*innen jedweder Richtung, das Judentum, die verschiedenen Kirchen, der Islam. In Europa hat sich eine Gesellschaft der Toleranz etabliert, doch noch immer gibt es – und das nicht nur hier – vereinzelt Menschen, die sich offensichtlich ins Mittelalter zurück sehnen. Der Anschlag war feige, seine Motivation gilt es zu verurteilen, aber die Tat sollte nicht „gerächt“ oder „gesühnt“ werden. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“; würden wir diesem Grundsatz folgen, wäre die ganze Welt blind.
Wir sind offen und tolerant, also lasst uns das auch zeigen. Lasst uns nicht stigmatisieren und Menschen verurteilen, nur weil sie vielleicht die gleiche Religion haben wie jene Attentäter. Oder zufällig die gleiche Hautfarbe oder das gleiche Lieblingsessen. Wir dürfen unsere Mauern nicht wieder hochfahren oder die Tat zum Anlass nehmen, bedenkenswerte politische Ansichten durchzusetzen. Die 2006 eingeführte Vorratsdatenspeicherung konnte Frankreich nicht vor Anschlägen schützen, dennoch wird genau das wieder vermehrt auch für Deutschland gefordert. Und sogar die Pegida-Bewegung versucht das Ereignis schamlos für sich auszunutzen; ihre Nazi-Sprüche reißenden Anführer*innen sind der Ansicht, das linke Satire-Magazin und unsere demokratischen Grundwerte verteidigen zu müssen. Was für eine Ironie. Vielleicht hätte der eine oder andere doch mal die Zeitschrift näher in Augenschein nehmen sollen.

http://bit.ly/1tXDJFz

Wir bleiben zurück in Trauer, doch hoffentlich nicht in Angst. Wir lassen uns nicht unserer Freiheit berauben. Stéphane Charbonnier, ermordeter Zeichner von Charlie Hebdo, sagte noch vor gar nicht allzu langer Zeit: „Lieber sterbe ich aufrecht, als auf Knien zu leben.“
Für sein Schicksal, seine Werke und Taten so treffend; für uns so bedeutend.

http://bit.ly/1xRG7Nj

Sonntag, 16. November 2014

Demokratische Sicherheitspolitik

Still gestanden, Gewehre hoch. Wir lieben Krieg. Hooray!“
Meine Güte, was soll dieses neue Kriegsdenken, welches durch Europa (und die Welt an sich) geht? Dieser neue (oder eher alte?) Patriotismus, welcher die Gemüter verseucht und die Völkerbeziehungen angreift wie ätzende Säure.
Plötzlich reden wir wieder von alten Bündnissen und neuen Wirtschaftsverbindungen. Frankreich soll doch keine Schiffe an Russland liefern, russische Flotten setzen sich gen Australien in Bewegung, Ostasien streitet über ein paar Ressourcen-Inseln, Afrika klagt nicht nur über Ebola, sondern auch über radikale Terroristen, und der IS etabliert sich im Nahen Osten.
Wir hatten selten so wenige zwischenstaatliche Konflikte, aber ebenso selten so viele sonstige Krisensituationen. Zudem kann der Status Quo in der Ukraine zu einem Krieg ausarten.
Menschheit, was tust du da?
Fünfundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall hat die EU 28 verschiedene Armeen, schottet sich ab und nötigt Flüchtlinge dazu, illegal über das Meer zu kommen, weil eine legale Einreise kaum mehr möglich ist. Und man möge die andere Mauer nicht vergessen, welche immer noch steht, mehr als doppelt so hoch ist wie jene, die Berlin teilte, und sich heute durch Palästina zieht.
Oh schöne neue Welt.
Die NATO rüstet weiter, verlegt Truppen in den Osten und plant offiziell die Verteidigung gegen Russland, während eine Aktion des Zentrums für politische Schönheit nahezu im Sand verläuft, weil selbst viele Medien das Drama im Süden ignorieren, wo zehntausende an den Mauern Europas sterben.
Ach Menschen, was wollt ihr denn?
Sicherheit gefällig? Wir sperren euch ein. Freiheit für euch? Anarchie, wir kommen. Nein! Die Welt besteht nicht aus Absoluten. Dass Politik kleiner Schritte ebenso zu einem Ziel kommt, sollten wir nicht vergessen haben. In meinen Augen ist es sogar der EINZIGE Weg, den man beschreiten sollte, will man Annäherung, Frieden sowie unsere beiden Lieblinge: Freiheit & Sicherheit.
Das Problem gegenwärtiger Politik ist, dass jedes demokratisch legitimierte Staatsoberhaupt Stimmen der Wähler*innen braucht, und diese lassen sich besonders leicht durch untersten Populismus ergattern. Das wiederum sind nicht nur traurige Neuigkeiten über unsere ach so demokratischen Länder, sondern auch für die internationale Politik an sich. Denn so wird zur Zeit häufig doch noch immer das Dogma verfolgt, dass ein Staat stabiler ist, je mehr Kante es nach außen zeigt. Man versucht sich abzugrenzen, im Notfall sogar drastisch, um innere Gegenkräfte aus der Bahn zu werfen; passendstes Beispiel hierfür die Politik des Vereinigten Königreiches im Zusammenhang mit dem Umgang mit der UKIP.
Und das UK steht mit dieser innen- und außenpolitischen Taktik nicht allein. Es wird gedroht und halb versprochen und widerrufen. Wir reden von Frieden und schüren Hass, wir geloben Frieden und senden Drohnen.

Filippo Minelli - CC BY-NC-ND 2.0

Es läuft was schief, werte Mitmenschen, und um es spezifisch zu nennen: es läuft was schief mit dem Wege der Demokratie, welchen wir einschlugen.

Sonntag, 27. April 2014

Kill, eat, and die.

Wir wissen Schönheit nicht mehr zu schätzen, weil sie in Massen auftritt.
Tagtäglich werden uns Ideale vorgeführt; Ikonen der Kunst, der Musik, der Literatur. Das Netz verbindet uns alle, und so sehen wir die Spitze aller Schichten Tag für Tag, ohne dass uns in den Sinn kommt, dass wir somit immun gegen die einfache Schönheit werden.
Wir laufen eilig am Straßenkünstler vorbei. Es könnte ein gefeierter Tenor sein. Oder ein erstklassiger Cellist aus der nächsten Philharmonie. Wir würden ihn trotzdem nicht beachten, denn die Masse tut es auch nicht. Wir bezahlen den Eintritt in die Oper und klatschen, weil es alle tun. Wir hören Musik der globalisierten Pop-Kultur, entweder die Charts oder jene Musik, von der wir denken, dass wir zur coolen Hipster-Gesellschaft gehören, wenn man Band-Namen auflisten kann, die keiner kennt.
Wir können uns nicht mehr an der Einfachheit und Schlichtheit erfreuen; wir lassen uns treiben, wie tote Fische im Strom. Wir schießen von uns 50 Bilder im Bad, angeln uns die fünf besten, photoshoppen davon drei und laden dann das beste hoch, zusammen mit der Überschrift „Spontanes Selfie“. Wir schminken uns, setzen virtuelle Masken auf und sagen, wir würden Goethe, Voltaire und Hobbes kennen. ... dabei kennen wir nicht mal uns selbst.
Kennen deine Freunde und Freundinnen dich auch ohne Make-Up? Weißt du, was „direkt und ehrlich“ bedeutet? Kannst du noch Bücher aufschlagen oder sind selbst Wikipedia-Zusammenfassungen für dich zu anstrengend?




net_efekt, CC BY-NC 2.0

Die Menschheit ist nicht dumm geworden. Das war sie schon immer. Nein, aber faul ist sie geworden. Das Leid anderer interessiert uns nicht. Hauptsache, uns geht es gut. Wir sind so naiv zu glauben, dass andere alles richten werden. Wir sagen, jemand wird sich schon darum kümmern, und vergessen, dass wir selbst „jemand“ sind.
Wir kaufen Dinge, die wir nicht brauchen, und andere erst recht nicht. Aber vielleicht verschenken wir trotzdem eben jene Dinge an Menschen. Menschen, die wir möglicherweise nicht mal mögen. Ein neues Auto? Wieso nicht. Ich habe bereits eines, aber das ist älter als das meines Nachbarn. Ein weiteres Handy? Aber gerne. Meins ist doch mindestens 2 Jahre alt, wie kann ich mich nur damit blicken lassen.
Ja, natürlich gibt die Politik kaum andere Leitbilder vor. Wieso auch, wir leben schließlich im Kapitalismus und wir denken, Fortschritt entsteht nur durch Konsum. Kauf, bis du stirbst. Kill, eat, and die. Oh ihr Schafe, braucht ihr denn immer jemanden, der euch etwas vorlebt?

Frank Weber, CC BY 2.0


Das heutige Töten und die moderne Sklaverei macht doch so viel mehr Spaß als vor 200 Jahren, als man den Sklaven und Sklavinnen noch direkt ins Gesicht sehen musste. Für Europäer*innen arbeiten mehr als 20 Menschen pro Person. Und jene modernen Sklav*innen musst du nicht mal sehen, denn sie leben nicht in deinem Haus, nicht in deiner Stadt, wohl nicht mal in deinem Land oder auf deinem Kontinent. Nein, ihre erdrückende Armut und ihr menschenunwürdiger Lebensstil, den Anblick ihrer Augen, welche den Glanz der Hoffnung verloren haben, und die Körper, zerschunden von täglicher, schwerer Routine-Arbeit, all das musst DU nicht mit ansehen, denn wenn du dies hier liest gehörst du mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu den obersten 15% der Menschheit.
Doch der Luxus blendet uns stets. Die obersten 10% wären doch auch toll. Ein Haus mit Swimming-Pool, ein Ferien-Appartment in Bankok oder Rio, eine Goldkette mit Diamanten versehen...
Menschheit, mach die Augen auf, und kümmere dich um die Schwächsten, bevor du deinem Luxus immer wieder aufs Neue höhere Maßstäbe anlegst!


Ira Gelb, CC BY-ND 2.0

Sonntag, 23. März 2014

Die Krim-Krise oder: Das Leiden eines pseudo-demokratischen Diktators

Kaum entsteht irgendwo auf diesem Planeten ein neuer Konflikt, schon freuen sich die Menschen in den Kommentier-Zeilen diverser Medien in ihrer Action-Sucht über einen potentiellen Dritten Weltkrieg. Schön doof. Denn der wird nicht ausbrechen. 
Was passiert zur Zeit? Für die Unaufgeklärten unter uns: Die Ukraine - süd-östlich von Polen, nördlich des Schwarzen Meeres und süd-westlich von Russland - ist dezent ausgedrückt etwas gespalten. Zum einen kulturell und sprachlich (die Mehrheit im westlichen Teil spricht Ukrainisch, im Osten jedoch aufgrund der mehrheitlich russischen Wurzeln eben Russisch), zum anderen aber auch politisch: Die Menschen der West-Ukraine sehnen eine Annäherung an die EU herbei, jene im Osten würden aber gerne enger an Moskau rutschen. Unter der Regierung des Ministerpräsidenten Viktor Janukowitsch, der sich in diesem Amt vor allem bereicherte und Geld von beiden Seiten gerne annahm, war weder an das eine noch an das andere ernsthaft zu denken. Ebenso konnte man auch kaum von einer korruptionslosen und freiheitlichen Demokratie in der Ukraine reden. 
Passend zum Zeitgeist unterdrückter Länder gingen die Menschen, vor allem in der Hauptstadt Kiew (im Westen des Landes), auf die Barrikaden. Der zentrale Platz in Kiew, der Maidan, wurde zum Zentrum eines erneuten Umsturzes, ähnlich wie 2004.

spoilt.exile, CC BY-SA 2.0

Das Problem sind zwei Dinge: Zum einen besteht, wie genannt, ein tiefer Graben zwischen dem Osten und dem Westen des Landes (sogar ganz ohne Mauer). Zum anderen war und und ist auf der Krim-Halbinsel (im Ost-Teil des Landes) die russische Schwarzmeer-Flotte stationiert. Die entsprechenden Häfen sind durch Russland für Millionen-Beträge gepachtet worden und Ukraine erhält (oder vielmehr: erhielt) einen Gaspreis-Rabatt von 30% durch den russischen Staatskonzern Gazprom.
In den Augen des Kremls war die ehemalige Regierung unter Janukowitsch Russland-freundlich genug und das System galt als stabil. Nun wurde jener aber abgesetzt, zwar mit einer parlamentarischen Mehrheit, jedoch nicht mit den verfassungsgemäßen 2/3-Mehrheit. Somit gilt bei pro-russischen Medien etc die Ansicht, die Revolution sei nur ein Putsch und die neue provisorische Regierung sei illegitim.
Tatsächlich ist jene neue Übergangsregierung auch wirklich fragwürdig: Geleitet von exzessivem Nationalismus ist die Swoboda-Partei als schon faschistisch zu nennende Organisation ein Bestandteil der neuen Macht-Lücke geworden. Aber der Westen muss zwangsläufig mit ihnen verhandeln, solange es keine neu gewählte Regierung gibt.
Für Russland hingegen ist diese "revolutionäre" Regierung nicht hinnehmbar, weswegen man Janukowitsch auch das eigene Territorium als Asyl-Boden gewährte, als dieser aus seiner Protz-Villa fliehen musste. 
Und die großen Verhandlungsmächte sind natürlich mal wieder die USA, Russland und die Europäische Union. Irgendwer muss ja an die Tische. Schade nur, dass man sich gegenseitig lieber Dinge vorwirft, Hitler-Vergleiche zieht (egal, ob die begründet sind oder nicht) und Truppen aufmarschieren lässt. 
Ein zwischenzeitlicher Hochpunkt der Krise ist bislang das Referendum der Krim über einen Anschluss an Russland gewesen. Durchgeführt unter russischer Truppen-Präsenz, völkerrechtswidrig entgegen der ukrainischen Regierung und bei offensichtlicher Wahlbeteiligung von teilweise bis zu 127%. Da möge mensch sich denken was mensch mag. Völkerrechtskonformes Handeln sieht jedenfalls anders aus. Und jene, die meinen, der Westen habe im Kosovo doch auch völkerrechtswidrig gehandelt, setzen dem Ganzen noch den Hut auf, denn eine schlechte Tat ist niemals durch eine vorangegangene schlechte Tat zu legitimieren. Ansonsten könnte man ja auch einen zweiten Holocaust machen, nur weil ein erster stattfand. Diplomatie sollte auf Logik beruhen. Zu schade nur, dass neuerdings wieder auf Diplomatie an sich verzichtet wird.
Die Krim ist jetzt in russischer Hand, die dort stationierten ukrainischen Soldaten mussten sich zurückziehen, der Rubel wird eingeführt und die Zufahrtswege sind blockiert, sowohl auf dem Land also über das Meer, vor allem ins Asowsche Meer.
Zur Zeit befinden sich schon zehntausende Soldaten sowohl auf der Krim-Halbinsel als auch direkt hinter der Grenze zur Ukraine auf russischer Seite. Und die Ukrainer*innen haben Angst; Angst davor, dass Russland auch den Rest der Ukraine oder zumindest der Ost-Ukraine will und ihn sich auch mit Waffengewalt nimmt.

Sasha Maksymenko, CC BY 2.0

Es stehen sich also mal wieder Soldaten und Machtinteressen gegenüber. Und man fragt sich, was eigentlich Putin will. Soll Russland unter seiner Führung zu alter Größe? Muss er mit seinem Macho-Gehabe und dominanten Verhalten irgendetwas kompensieren?
Der arme Putin ist 3 cm kleiner als Napoléon. Vielleicht ist an letzterem also etwas dran. Aber mal Spaß beiseite: Seit Jahren drängt "der Westen" Russland an die Wand. Mit der deutschen Wiedervereinigung wurde zugesichert, dass sich die NATO nicht weiter nach Osten ausdehnt. Das Gegenteil geschah, auch wenn man auf Druck von Merkel von der Ukraine absah. Die EU dehnte sich ebenfalls weiter aus, gerade ist sogar mitten in der Krise ein Kooperationsabkommen zwischen der EU und der Ukraine unterzeichnet worden. Und die US-Amerikaner stationieren gerne ebenfalls überall und jederzeit Raketen, Soldaten und Kampf-Jets, angeblich jedoch nicht gegen Russland gerichtet. Ach... und wenn Russland Truppen in Mexiko stationieren würde, und sagt, das sei nicht gegen die USA gerichtet, wer würde das glauben? In der Politik obsiegt mal wieder die Scheinheiligkeit, und zwar auf allen Seiten.
Die Krim war nicht immer russisch, die schießenden Soldaten bei ukrainischen Posten waren schon zu Beginn russische Militärs und in der neuen ukrainischen Regierung sind nachweislich Faschisten.
Im Moment lauern auf beiden Seiten die Soldaten auf einen Befehl, der hoffentlich nie kommt. Und wenn doch, dann muss Europa handeln. Aber nicht militärisch, und das wissen die Eliten auch. Denn die globalisierte Welt verhindert die positive Bilanz von großen Kriegen. Europa, die USA und Russland sind zu stark miteinander ökonomisch und politisch verstrickt, dass sich ein (direkter) militärischer Konflikt für niemanden lohnt. Gegen irgendein Regime in Afghanistan: kein Problem. Aber nicht gegen einen Staat, der mindestens bei den G20 ist.
Ein Dritter Weltkrieg kann ausgeschlossen werden (ja, total schade... für die Waffenproduktion), was jedoch wohl auch ein Nachteil für die Ukraine ist. Klingt seltsam und auf den ersten Blick unlogisch, aber bei genauerem Hinsehen merkt man: Was sollte Russland jetzt davon abhalten, einzumarschieren? Öl und Gas hat das Land alleine, Abnehmerländer auch, wodurch Sanktionen wenig helfen, und China deckt bei den meisten Dingen den Rücken... wenn Russland diesen Weg der Selbst-Isolation gehen sollte, dann wird es Europa auf einem schlechten Wege einen, der so nicht vorgesehen war. Es wird ein neuer Eiserner Vorhang entstehen, weiter östlich dieses Mal als der alte. Und der Kalte Krieg beginnt wieder von vorn.
... oder die Menschen fangen wieder damit an, ihr Gehirn zu benutzen, und zu sehen, dass die Menschen gleich, und der Nationalstaatsgedanke irrelevant ist.

Europe unite!
Ein rationalistischer Mensch ist stets für Frieden.
Und wer den Frieden nicht wünscht, ist des Lebens nicht wert.

Sonntag, 22. Dezember 2013

Demokratie - real und radikal

Wozu benötigen wir die Demokratie? Und warum ist sie das schlechteste System, abgesehen von allen anderen Alternativen?

Ein Staat hat immer eine Staatsform, die seine Existenz legitimiert oder zumindest dieses Ziel hat. Der Staat dient den Interessen eines Volkes, einer Elitegruppe oder eines auserwählten Volksgemeinschaft. Und ein Staat versucht immer, diese Interessen durchzusetzen und die eigenen Ideale zu verbreiten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Staatsform eine Monarchie oder Republik, Demokratie oder Diktatur ist.
Die Politik ist nicht von kühlen und durchdachten Überlegungen geprägt, sondern vom instinktiven Verhalten der in ihr handelnden Personen. Wenn ein Staatsoberhaupt eine*n Vertreter*in eines anderen Landes trifft und die Stimmung zwischen diesen zwei Menschen ist perfekt, dann wirkt sich das im hohen Maße auch auf die internationale Beziehung der zwei entsprechenden Staaten aus. Man möge an François Hollande und Angela Merkel denken. Alles andere als ein Traumpaar. Der Sozialist und die Konservative. Und prompt merkt man: die deutsch-französischen Beziehungen waren auch schon einmal besser.

Unser System... die Demokratie. Warum? Weil es dem Zeitgeist entspricht. Das ist sowieso die Legitimation für alles. Waffenexporte? Zeitgeist. Erneuerbare Energien? Zeitgeist. Hipster-Kultur und Massenware? Zeitgeist. Und so lange wir darauf setzen, ein allgemein für alle gültiges System zu haben... ja, so lange wird auch die Demokratie das beste aller Systeme sein. Beziehungsweise wie Winston Churchill es seinerzeit formulierte: „Demokratie ist die schlechteste Regierungsform - außer all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“
Denn Demokratie gibt jedem Bürger und jeder Bürgerin das Recht, mitzubestimmen. Nur ist vielen Menschen die Bedeutung dieser Errungenschaft selten bis nie bewusst. Sie nehmen es hin und ahmen doch ihren Großeltern und Eltern nach, welche auf „die da oben“ schimpfen. Dabei sind sie doch selbst schuld.
Dieses Bewusstsein über die Möglichkeiten eigener Einflussmöglichkeiten in unserer Gesellschaft, das fehlt uns. Vielleicht würde dann so einiges besser – und zumindest anders – laufen als bislang.
Warum haben unsere Ahnen so sehr für ihre Rechte gekämpft? Weil es das wert war. Weil sie die Willkür kannten. Weil der Zeitgeist es verlangte. Die Demokratie muss nicht nur erlangt, sondern auch verteidigt werden. Und da sollte man nicht nach einem Staatsoberhaupt oder dem Verfassungsschutz rufen, sondern den eigenen Teil beisteuern. Nicht für das Land. Nicht für die eigene Ethnie. Nicht zum eigenen Wohl. Sondern zum Erhalt der Demokratie.
Und die Arten der Demokratien sind zahlreich. Viele Nationen dieser Erde haben dabei eine bedeutungslose Monarchin an der Staatsspitze. Oder sie haben eine kaum vorhandene Gewaltenteilung, was nach vielen Definitionen ein System-Wandel ist. Manche haben auch nur den offiziellen Namen einer Demokratie.

Hier in Europa kam mir mal der Gedanke, wie faszinierend anders die politische Landschaft wäre, wenn nur noch jene über Politik entscheiden dürften, die verstehen, was sie tun. Eine Demokratie der Wissenden. Wie undemokratisch! Und doch...
Was wäre, wenn? Keine Millionen und Abermillionen, die auf Wahlplakate hereinfallen und keine Wahlprogramme lesen, sondern nur jene, die zusehen, ob ein Politiker oder eine Politikerin etwas hält, was er oder sie verspricht. Und darauf achten, wie sich die Repräsentant*innen wandeln.
Eine Demokratie der Wissenden. Oder eine Philosophen-Demokratie. So faszinierend... und in meinen Augen doch so erbärmlich. Denn Wissen verhindert nicht Korruption und Ignoranz. So verlockend auch der Gedanke sein mag, als Elite-Bestandteil politisch zu wirken und bei solch einem System die Politikbegeisterung neu anzufachen, so sehr ist doch auch klar, dass unser System der allgemeinen parlamentarischen Demokratie, welches wir heute haben, sich doch gerade daraus legitimiert, dass jede*r mitentscheiden darf. Selbst die dumme Nachbarin mit der klischeehaften Bild-Zeitung in der Hand oder der pöbelnde Neo-Nazi an der Ecke.
Durch jeden Bestandteil erklärt sich unsere Gesellschaft. Ich bin nicht stolz auf mein Land und nicht stolz auf die Taten anderer. Aber ich bin stolz auf ein System, dessen Bestandteil ich bin und zu dessem Erhalt ich beitrage.

„Die Zukunft ist etwas, das die meisten Menschen erst lieben, wenn es Vergangenheit geworden ist.“ - William Somerset Maugham -

Vielleicht sollten wir schon heute beginnen, die Zukunft zu lieben.


 
Pasu Au Yeung- CC BY 2.0


Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.  - Voltaire -